Ein Komponist am TLG - Wolfgang Zoubek
„Es macht Spaß, Zoubek zu hören.“
An unserer Schule unterrichtet ein Komponist, der eine Vielzahl klingender Werke ans Licht gebracht hat - und kaum einer weiß es. Eine parnassische Aura zieht durch die Gänge, west und wird wahrgenommen, aber der Quelle wird nicht nachgegangen. Wolfgang Zoubek ist ein echter Erfinder, ein veritabler Tonsetzer, von dessen Werken eine schöne Anzahl hier und auf internationalen Foren aufgeführt wurde und wird.
Unter seinen Arbeiten sind nahezu alle Gattungen der Musik vertreten: Kammermusik in verschiedener Besetzung, Orchesterstücke, Lieder, Chorwerke, Singspiele, sowie Peterchens Mondfahrt, ein abendfüllendes Ballett, das 1995 im Carl-Orff-Saal des Gasteig seine Uraufführung erlebte. Vor allem aber ist er ein Sachverständiger an der Orgel, von dem eine ausgezeichnete CD-Einspielung von Werken des 20. Jahrhunderts, darunter eigenen, vorliegt. Seine Metamorphosen über einen alten Choral, nämlich Christ ist erstanden, beeindrucken durch ihre kraftvolle musikalische Aussage. Der zweite Teil des Stücks (Quasi una fantasia) zeigt die Menschheit dumpf harrend, gedrückt und leidend, aber auch hoffend in ihrer Lebenspein. In leisen Tönen kündet die Musik von der Sehnsucht nach Erlösung, bis sich die Hoffnung als triumphale Osterbotschaft im prächtigen Choral Bahn bricht.
Wolfgang Zoubek ist Schüler des Organisten Franz Lehrndorfer und der Münchener Lehrer und Komponisten Günter Bialas und Wilhelm Killmayer, vor allem aber von Olivier Messiaen, bei dem er sich 1976/77 als Gastschüler in Paris aufhielt. Der Einfluß des Franzosen, der so vielen Schülern, Boulez unter anderen, den Weg wies, war tief und nachhaltig. Ihm zu Ehren schrieb Wolfgang Zoubek das zweite Klaviertrio „Hommage à Olivier Messiaen“, das zu seinen stärksten Werken gehört. Zoubek sagt selber von sich, daß ihn seine Vorliebe für die neuere französische Musik ab Debussy seither nie mehr verlassen habe. „Was mein Denken mit dieser Musik verbindet, ist meine Neigung zum Geheimnisvollen und Unwirklichen, zum Poetischen, zu einer verfeinerten Klanglichkeit und Rhythmik und vor allem zu außermusikalischen Anregungen.“
Messiaens Musik ist von der Gestaltung her unstreitig die komplexeste vor Boulez und die farblich reichste nach Debussy und Ravel, seine musikalische Technik von überragender klanglicher, rhythmischer und harmonischer Kunstfertigkeit. Trotzdem ist sein Weltbild von geradezu kindlicher Einfalt. Seine Kompositionen durchziehen die naturalistisch komponierten Stimmen der diversesten Vögel unserer Breiten, vor allem der Amsel. Sie scheinen ihm der Fleisch gewordene Beweis für Gottes Existenz, die Abgesandten und Künder Seiner Präsenz und Seines Ruhms. Nicht nur im Trio „Hommage à Olivier Messiaen“ tauchen sie auch bei Zoubek auf, sondern da und dort auch in seinen anderen Werken (in den „Metamorphosen“, im 5. Klavierstück), allerdings weniger in naturalistischer, sondern eher in stilisierter Form. In der vierten seiner „Fünf Miniaturen“ schaltet sich der Urvogel Archäopteryx in der Flöte als herabgekommener Himmelsbote schrill kreischend in das musikalische Gewebe ein und beherrscht es nahezu, um sich wieder im verklingenden Nirgendwo, in der sich verfärbenden Bläue der Himmelsweite, in Richtung Gottesthron zu verflüchtigen. Austausch findet statt zwischen Mensch und Gott, Zeit und Ewigkeit. Eine Stimmung herrscht wie in der Morgenfrühe des Glaubens.
Es wäre freilich weit gefehlt, wollte man Wolfgang Zoubek als auch nur vorwiegend religiös orientierten Musiker rubrizieren, wiewohl er alles Metaphysische liebt. Er ist noch vieles andere, zum Beispiel Orientale. Zum dritten Mal begab er sich im letzten Sommer in seinen Ferien zu einem Studienaufenthalt nach Bali in Indonesien, weil ihn die Gamelan-Musik und ihr Orchester von Schlaginstrumenten brennend interessiert. Viel davon ist wiederum in seine Musik eingeflossen, wie in die Stücke Pelog oder Ladrang, die direkte indonesische Bezeichnungen tragen, aber auch, eher indirekt, in andere seiner Arbeiten. Die Geräusche des Windes für Flöte glaubt man aus der japanischen Bambusflöte (Shakuhachi) kommen zu hören, und Gitarre und Mandoline haben in Ladrang kurzzeitig die Rollen des japanischen Zupfinstruments Koto oder der chinesischen Entsprechung Cheng zu übernehmen.
Wolfgang Zoubek ist aber natürlich auch und vor allem Europäer, der die gesamte abendländische Musiktradition kennt und sich von ihr anregen läßt. Insbesondere sind ihm die Gregorianik und Palestrina feste und beispielgebende Größen. „Im Chorgesang faszinierte mich die Einfachheit und Schlichtheit der altklassischen Vokalpolyphonie. Diese Musik hat einen unvergleichlichen Adel des Gefühls und man kann sie hören, ohne epileptische Gefühlsausbrüche zu bekommen. Bei Palestrina erkannte ich, daß es am schwierigsten ist, mit einfachen Mitteln viel auszudrücken.“
Wirklich ist seine Musik ohne Leerlauf, ohne Füllsel an funktionslosen Noten. Sie ist wohlüberlegt und in jedem Detail planerisch durchstrukturiert. Auch er spricht über den Kompositionsprozeß, wie so viele der Großen, davon, daß zuerst der Einfall kommen müsse, und dann könne die ordnende Hand eingreifen und dem Stück die ihm zukommende Form geben. In Zoubeks Musik ist bei näherem Hinhören jede Note am rechten Platz. Ein Kritiker glaubt zu erkennen, daß für seine Tonsprache das Wort Intensität der Schlüssel zum Verstehen sei. In der Tat leben manche seiner Stücke von starken Gegensatzspannungen, die sie dem Hörer in der jeweiligen Gestaltung überzeugend und fesselnd erscheinen lassen. In Ladrang zum Beispiel steht eine ruhige, maskuline Gitarre einer kapriziösen Signorina von Mandoline gegenüber und entgegen, welche sich zwar im musikalischen Verlauf mitunter zum konzertierenden Dialog herbeiläßt, aber meistens im Streit mit ihrem Partnerinstrument verharrt. Aus eben dieser quasi-ehelichen Situation bezieht das Stück sein reizvolles Interesse. Es endet übrigens in allgemeiner Beruhigung, deren begrenzte Dauer aber abzusehen ist.
Auf Wolfgang Zoubeks Intention als Komponist von Musik, die das Ohr erreichen und darin verweilen soll, trifft das oft von ihm wiederholte Wort zu: „Kunst ist die Versinnlichung des Geistes und die Vergeistigung der Sinnlichkeit“. Zoubek schreibt interessante Musik. „Es macht Spaß, Zoubek zu hören“, befand ein Kritiker. Daß seine Klangwelt einmal verwehen und vergehen könnte, ist nicht recht vorstellbar. Ungefähr vierzig Opera sind aus seiner Hand vorhanden. Sie sind kaum verwechselbar. Ihre Töne bewegen, schleichen sich über das Gehör in Herz und Gefühl. Seine Stücke sind bei mehrmaligem Hören inhaltlich nicht ausgeschöpft. Sie sind Konzentrat. Sie haben Geheimnis und lockenden Tiefgang, den der Komponist – soll ich sagen: genialiter? – in sie gelegt hat. Quem servet Minerva, quem Apollo Musaeque!
Franz Strunz