Wie sehr hatte sich doch die Grundschülerin Marie X. am 8. Mai nach ihrer Einschreibung auf das Theodolinden-Gymnasium gefreut, das sie ab September besuchen sollte!
Ihre Eltern kamen vom Informationsabend für zukünftige Fünftklässler mit einem positiven Eindruck nach Hause. Für das Mädchen selbst stand spätestens nach dem Tag der offenen Tür" die Schulwahl fest.
Am Tag der Einschreibung freuten sich auch die Lehrkräfte über die hohe Zahl der Anmeldungen und somit über die vielen zukünftigen Schülerinnen und Schüler. Um so größer war der Schock für uns Lehrkräfte, als wir zwei Tage später von der Anweisung der Schulreferats erfuhren, im kommenden Schuljahr statt der möglichen fünf nur noch vier Eingangsklassen bilden zu dürfen.
Das hieß im Klartext: Marie X. und 15 weitere kleine Schicksalsgenossen mussten abgewiesen werden. Die Suche nach einem anderen Gymnasium begann. Leider war der offizielle Anmeldetermin bereits verstrichen, die weiteren in Frage kommenden Schulen möglicherweise ebenfalls überfüllt. Vielleicht hat Marie erst per Zuweisung durch den Ministerialbeauftragten einen Platz gefunden? Wir wissen es nicht.
Was haben Marie und die anderen abgewiesenen Kinder falsch gemacht? Sie wohnen etwas zu weit vom Theodolinden-Gymnasium entfernt und vertrauten ihrem sicheren Gefühl aufgenommen zu werden.
Was haben wir Lehrer falsch gemacht? Wir vertrauten darauf, dass die intensivierte pädagogische Arbeit der letzten Jahre ihre Früchte trägt und für uns heuer, wie in den Schuljahren zuvor, die Möglichkeit besteht, alle eingeschriebenen geeigneten Kinder aufnehmen zu können.
Ein fataler Trugschluss!
Wir erarbeiteten ein eigenständiges Schulprofil, eine Entwicklung, die unser Arbeitgeber begrüßte und de facto auch von uns erwartete. Aktivitäten wie pädagogische Tage, Skill-Unterricht, Diskussionsabende zu Erziehungsfragen, Förderangebote für gefährdete Schülerinnen und Schüler, intensive Evaluation sowie Projekte zur Streitschlichtung relativieren sich angesichts schulpolitischer Sachzwänge, die nur vom städtischen und staatlichen Rotstift diktiert werden. Wir fühlen uns um die Früchte unserer pädagogischen Arbeit betrogen.
Erstaunlicherweise treffen diese restriktiven und kontraproduktiven Maßnahmen die Eltern, Lehrer und Schüler gerade zu dem Zeitpunkt, als die Gesellschaft im Allgemeinen und alle mit Bildungspolitik befassten Verantwortlichen im Besonderen von der Schule verstärkt pädagogisches Engagement erwarteten und weiterhin erwarten werden. Kürzungen finanzieller Mittel, die letztlich zu der Streichung von gymnasialen Eingangsklassen und zu Abweisungen von Quereinsteigern führten, dürfen und können nach den viel beklagten Ergebnissen der PISA-Studie und nach den erschütternden, noch längst nicht verarbeiteten Ereignissen von Freising und Erfurt nicht der richtige Weg sein. Pädagogische Aktionen werden auf diese Weise zu reinen Alibiveranstaltungen, angekündigte Reformen zu puren Lippenbekenntnissen! Wir sehen jede ehrliche und engagierte pädagogische Arbeit aller Lehrkräfte spätestens seit dem 10. Mai dieses Jahres ad absurdum geführt.
Rudi Schüßler Ina Wörndl
Pädagogischer Betreuer der Unterstufe Pädagogische Betreuerin der Mittelstufe
Streitschlichtung - brauchen wir das?
Ein zerbrochener Bleistift, ein geklauter Radiergummi oder ein unbedachter Rempler können schon ausreichen: Es sind oft nur Kleinigkeiten, die einen Streit im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof auslösen. Auch die unter Schülern häufigen groben Verbalattacken enden nicht selten in physischer Aggression.
Aber wie lösen Schüler ihre Streitigkeiten? Wenn sich in der Tierwelt zwei sich streiten, gewinnt immer der Stärkere. Der Schwächere akzeptiert das Ergebnis des Kampfes und trollt sich. So einfach ist das bei den Tieren - doch gilt das auch für uns? Bei streitenden Schülern, die sich auf dem Schulhof prügeln, läuft die Sache eindeutig anders, denn nach einer Prügelei ist meistens gar nichts geklärt. Im Gegenteil, der Konflikt wird oft auf dem Nachhauseweg weiter geführt und auch wenn Lehrer dazwischen gehen und womöglich noch Strafen verteilen, heißt das noch lange nicht, dass der Streit ausgeräumt ist.
Mediation (englisch: Vermittlung) ist die Bezeichnung für ein Verfahren zur Konfliktlösung, bei dem unparteiische Dritte zwischen den Streitparteien vermitteln, um eine Lösung zu finden, mit der alle Streitparteien einverstanden sind. Ziel ist es nicht, die Schuldfrage zu klären, sondern am Entwerfen von Lösungen zu arbeiten, die in der Zukunft das Miteinander erleichtern. Es sollen Lösungen gefunden werden, von denen möglichst beide Konfliktparteien profitieren. Die Mediatorinnen und Mediatoren (bei uns in Zukunft ausgebildete Schülerinnen und Schüler) haben die Aufgabe, die Streitenden bei der Erarbeitung einer solchen Lösung zu unterstützen. Dafür strukturieren sie den Prozess und setzen verschiedene Methoden ein (z.B. aktiv zuhören, zusammenfassen, spiegeln, umdeuten), um den Konfliktparteien zu helfen, ihre Wünsche und Interessen zu identifizieren und zum Ausdruck zu bringen.
Der Mediationsprozess läuft in folgenden fünf Phasen ab:
1.Vorstellung und Vereinbarungen (z.B. Verschwiegenheit, Freiwilligkeit)
2. Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte
3. Konflikterhellung, -klärung
4. Lösungsfindung mittels Brainstorming
5. Formulierung der Zielvereinbarungen
Die Idee, am TLG ein Streitschlichterprogramm durchzuführen, hat schon eine kleine Geschichte. Bereits im Schuljahr 2000/2001 gab es in einer Gruppe Lehrkräfte mit beratender Funktion erste Diskussionen, ob durch die Einführung von Streitschlichtern der Umgang mit Konflikten innerhalb von Klassen verbessert werden könnte. Die am Ende des letzten Schuljahres durchgeführte Fragebogenaktion ergab eindeutige Defizite im Umgang mit Konflikten _ dies wurde sowohl von Schülern als auch von Lehrern geäußert. Es schien daher
notwendig, eine konstruktive Konfliktkultur als Teil des pädagogischen
Profils unserer Schule zu entwickeln. Die Schulleitung und ein Großteil
des Lehrerkollegiums befürworteten die Einführung eines Streitschlichtermodells
an unserer Schule.
Daraufhin wurde eine Arbeitsgruppe Schulmediation" gegründet, die sich seitdem regelmäßig trifft und das Projekt vorbereitet. Es wurde entschieden, die erste Ausbildungsphase extern von dem Institut für Mediation und Scheidungsberatung e.V. in München durchführen zu lassen. Frau Henke und Herr Mayer vom IMS waren bereits zwei Mal an unserer Schule, um die Lehrkräfte der AG über Mediation zu informieren und uns bei den Planungen zu unterstützen. Die Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 10 wurden in den letzten Wochen über das Projekt informiert und ihre Bereitschaft, Mediation im Konfliktfall in Anspruch zu nehmen bzw. sich zu Streitschlichtern ausbilden zu lassen, abgefragt. Bereits aktive Mediatoren vom Heinrich-Heine-Gymnasium haben unseren Schülern dankenswerter Weise Rede und Antwort gestanden. Noch in diesem Schuljahr soll die Gruppe der Mediatoren und Mediatorinnen aus Schülern ab der siebten Jahrgangsstufe zusammengestellt werden, damit gleich zu Beginn des nächsten Schuljahres die Ausbildungsphase starten kann. Diese beginnt mit einem Kompakttraining von zwei bis drei Tagen durch das IMS und wird nachmittags in regelmäßigen Treffen zur Wiederholung und Vertiefung weitergeführt.
Für das Streitschlichtungsprojekt investieren eine Menge Lehrkräfte viel Zeit und die Schule viel Geld. Die Kosten für die Ausbildung belaufen sich insgesamt auf ca. 2500 Euro, bei deren Finanzierung uns u. a. der Elternbeirat sehr unterstützt. Wenn diese Methode der Streitschlichtung jedoch von der Schülerschaft angenommen und von Lehrkräften und Eltern unterstützt wird, ist das Geld und die Zeit unserer Meinung nach sehr gut angelegt.
Susanne Friederich
(im Namen der Arbeitsgruppe Streitschlichtung am TLG)
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