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V. Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie in der Medizin
Gegenwärtig können die Auswirkungen der Nanotechnologie auf die Medizin noch nicht umfassend abgeschätzt werden, da auf diesem Fachgebiet die Entwicklung "noch in den Kinderschuhen steckt".
Natürlich sind die Ziele von medizinischer Nanotechnik generell identisch mit denen der konventionellen Medizin: Das physische und psychische Wohl des Menschen zu erhalten bzw. zu steigern.
Die Nanotechnologie, die derzeit in der Medizin eingesetzt wird, begrenzt sich auf genetische Untersuchungen (vgl. IV.), um z.B. Erbkrankheiten zu diagnostizieren.
Der folgende Bericht soll anhand von drei Beispielen über den aktuellen Forschungsstand der medizinischen Nanotechnik außerhalb der Anwendungen in der Genetik informieren.
Alle drei Anwendungsmöglichkeiten werden noch nicht rutinell eingesetzt oder sind noch in einem frühen Stadium der Erprobung.
1. Nanotechnik in der Krebsbekämpfung
Ärzte an der Virchow – Klinik in Berlin sind einen ganz neuen Weg gegangen, um Krebs – Tumorzellen zu zerstören. Sie versuchen diese Krankheit nicht durch zytostatische Chemotherapien oder durch Bestrahlung zu heilen, sondern haben einen neuen Ansatz gefunden:
Nanoteilchen aus Eisenoxid, die mit Proteinen umhüllt sind, werden in den Körper des kranken Individuums geschleußt. Diese umhüllten Eisenoxidteilchen wirken wie ein "Troianisches Pferd" (SZ vom 27.4.99: Th. Bührke: Kein Spaß für Graffiti-Sprayer), das das menschliche Immunsystem überlistet und in die Krebszellen eindringt. Letztere geben diese Teilchen sogar an Tochterzellen weiter. Wird der Patient nun in ein magnetisches Wechselfeld gebracht, so erwärmen sich die Eisenoxidteilchen auf ca. 45° Celsius und zerstören das umgebende Tumorgewebe. Der Körper scheidet dann die toten Zellen inklusive der Nanoteilchen aus.
Die Wirkung dieser Methode wird derzeit in Tierversuchen erprobt.
2. Nanopartikel als Vehikel für Medikamente
Die Natur kann aus Molekülen alle möglichen Teile produzieren.
Diese Teile kann man teilweise auch künstlich synthetisieren. Neben submikrofeinen Tubuli, Schichten, Doppel- und Dreifachwendeln gelingt es mittlerweile auch, Nanokugeln im Reagenzglas herzustellen. Diese Kügelchen bestehen aus Phospholipiden, Moleküle mit einem Kopf, der sich zum Wasser hingezogen fühlt und einer Kohlenwasserstoffkette als Schwanz, der das Wasser flieht. Gibt man diese Phospholipide in Wasser, so bilden sie spontan eine Doppelmembran mit dem hydrophilen Köpfchen dem Wasser zugewendet.
Unter Umständen gruppieren sich diese Molekülschichten zu einer Kugel, einem Liposom. Sowohl die Innen- als auch die Außenseite ist mit Wasser benetzt, die hydrophoben Enden befinden sich aber im Trockenen.
Die Kugeln, mit einem Durchmesser von 25 – 1000 nm, können als Vehikel von Medikamenten eingesetzt werden. Man muß das Wasser, in das man sie anfangs schüttet, mit einer Wirksubstanz versetzen. Die Kugeln hüllen diese ein und schützen sie so vor vorzeitiger Zerstörung durch körpereigene Enzyme. Das hätte den Vorteil, dass Patienten Medikamente schlucken könnten und sich keine Spritzen mehr verabreichen lassen müßten, weil diese Nanoteilchen die Darmwand durchdringen können und direkt in die Blutbahn gelangen.
Leider ist die chemische Stabilität dieser Kugeln noch nicht zuverlässig genug, um sie pharmazeutisch einsetzen zu können.
3. Das Retina – Implantat
Schon in den Siebenziger Jahren wurde die Idee, Blinden einen Teil ihres Augenlichtes wiederzugeben, indem man die Signale einer Fernsehkamera mit einem Rechner modifiziert und dann über eine Schnittstelle in die Sehrinde des Menschen leitet, in den Köpfen einiger Wissenschaftler und Ingenieure geboren.
Die leistungsschwachen und langsamen Computer und das noch mangelnde Wissen in der Neurotechnologie sind nur zwei von vielen Gründen, warum die Forschung seinerzeit wieder eingestellt wurde.
Die Idee war mit den damaligen Mitteln einfach noch nicht realisierbar.
Nanoimplantat: sehende Solarzelle (aus VIII., 14.)
Der Ansatz wurde aber im Zeitalter der Nanotechnologie wieder aufgenommen und weiterentwickelt. Man benützt keine Fernsehkamera, sondern eine Art Minikamera, die am Augenhindergrund auf der Retina befestigt wird; so ist das Auge selbst noch Kamera.
Von der Idee, den Sehnerv zu zerschneiden, um direkte Impulse einzuspeisen, ist man abgekommen, weil der Nerv nach so einer Verletzung sofort degeneriert.
Das Retinaimplantat, eine analoge Netzhaut, besteht aus einer Anordnung von Phototransistoren. Die Spannungsdifferenz zwischen zwei Photorezeptoren ist dann proportional zum Lichtkontrast. Die Reaktion des gesamten Retina – Chips kommt dem Verhalten der menschlichen Netzhaut sehr nahe. Kontraste werden hervorgehoben, ebenso schnelle Bewegungen; Flächen, in denen sich nichts tut, unterdrückt. Zu allem Überfluß erliegt die Siliziumhaut auch noch den klassischen optischen Täuschungen.
Eine 1,5 µm dünne und 3 mm große Solarzelle ist das jüngste medizinische Nanonetzhautimplantat.